Grundeinkommen ist sozialdemokratisch – Diskussionseinladung an SPÖ

Aktivist*innen laden SPÖ zur Diskussion über das Bedingungslose Grundeinkommen ein

Anlässlich des Vorstoßes von LH Peter Kaiser und der Erneuerung des SPÖ-Parteiprogrammes verschickte der „Runde Tisch – Grundeinkommen“ in den vergangenen Tagen hunderte Einladungen an lokale Parteiorganisationen der SPÖ in Wien, in Kärnten, der Steiermark und Vorarlberg, sich an der heurigen Woche des Grundeinkommens (14.- 20. September 2015) zu beteiligen. Das Bedingungslose Grundeinkommen sei mit sozialdemokratischen Werten kompatibel und Vollbeschäftigung eine Illusion, so die Aktivist*innen. „Das Bedingungslose Grundeinkommen würde der SPÖ ermöglichen, das politische Programm den sich verändernden gesellschaftlichen und ökonomischen Rahmenbedingungen des 21. Jahrhunderts anzupassen, die durch Flexibilisierung und Prekarisierung gekennzeichnet sind“ so die Grundeinkommens-Befürworter*innen in ihrem Brief an die Sozialdemokratie. Weitere Einladungen an SPÖ und weitere Parteien sind geplant.

Lob für Kaisers Diskussionsvorschlag

Peter Kaiser; Foto: Andreas Sucher

Im Interview mit der „Presse“ am 5. Jänner 2015 hatte Kärntens Landeshauptmann Peter Kaiser vorgeschlagen, das Bedingungslose Grundeinkommen innerhalb der SPÖ mit Hinblick auf das neu zu schreibende Parteiprogramm zu diskutieren. Josef Cap, der den Prozess zum neuen Programm leitet, hatte sich für den Vorschlag offen gezeigt.

„Wir begrüßen den Vorschlag von Kaiser und versprechen uns viel von einer solchen Diskussion über das Grundeinkommen, denn unserer Ansicht nach entspricht das Bedingungslose Grundeinkommen ganz klar den Grundwerten der Sozialdemokratie: Freiheit, Gleichheit, Gerechtigkeit und Solidarität,“ so Klaus Sambor, der die Europäische Bürger*innen-Initiative zum Grundeinkommen mitinitiiert hatte, die vor einem Jahr mit über 285.000 Unterschriften zu Ende gegangen war.

Grundeinkommen ist sozialdemokratisch

Sambor weiter: „Auf der Homepage der SPÖ lesen wir, dass eine Gesellschaft angestrebt wird, in der sich die menschliche Persönlichkeit frei entfalten kann. Um genau das geht es im Kern beim garantierten Grundeinkommen. Es ermöglicht allen Menschen, in Freiheit tätig zu sein.“

Das zerbrochene alte sozialdemokratische Versprechen

In der Zeit des Nachkriegsfordismus gab es im Europa der 50er, 60er und 70er Jahre Vollbeschäftigung für Männer. Philosoph Karl Reitter fasst das gesellschaftliche Versprechen der damaligen Zeit am Kongress des Basic Income Earth Network in München 2012 wie folgt zusammen:

„Wenn du fleißig und ordentlich arbeitest, hast du Anteil am wachsenden Wohlstand und an stabilisierter sozialer Sicherheit. Die Arbeit mag dir vielleicht manches Mal etwas monoton und bürokratisch organisiert erscheinen, aber der Arbeitsschluss kommt exakt mit dem Pfiff der Fabriksirene und einem freien Wochenende mit Unterhaltung und Konsum steht nichts mehr im Wege. Du verdienst so viel, dass deine Frau sich um den Haushalt kümmern kann und deine Kinder sogar die Hochschule besuchen können, obwohl du nur ein einfacher Arbeiter bist.“

Dieses Versprechen sei auch – allerdings nur für Männer, denn die strikte Geschlechterordnung habe Frauen nur als Zuverdienerinnen vorgesehen – eingelöst worden, nämlich durch Fordismus, Taylorismus und Keynesianismus. Letzterer sei bis heute das Credo der (linken) Sozialdemokratie: der Kapitalismus komme von selbst in die Krise und der Staat müsse durch eine antizyklische Konjunkturpolitik die kapitalistische Wirtschaft stabilisieren indem Nachfrage und Arbeitsplätze geschaffen werden.

Doch beginnend mit den 70ern sei dieses Modell in die Krise gekommen. Außerdem seien gestiegenen Löhnen, verkürzter Arbeitszeit und sozialer Sicherheit und Stabilität auf der Plusseite bereits davor auf der Minusseite starke Hierarchien, strenge Regelungen, bürokratische Kontrolle von oben nach unten sowie ein starres System, wo der einzelne ein kleines Rädchen sein musste, gegenüber gestanden, betont der Sozialphilosoph Reitter.

Das zerbrochene neoliberale Versprechen

Karl Reitter: Bedingungsloses Grundeinkommen, Mandelbaum, 2012.

Der Neoliberalismus hätte sich gesellschaftlich nicht so einfach durchsetzen können, argumentiert Karl Reitter vom Netzwerk Grundeinkommen und Sozialer Zusammenhalt – BIEN Austria weiter, wenn er nicht den Menschen auch etwas versprochen hätte, was ihren Bedürfnissen entgegen gekommen wäre:

„Wir organisieren alles für deinen Erfolg. Wir räumen dir bürokratische Hindernisse ebenso aus dem Weg, wie wir dir die Last nehmen, durch dein Steueraufkommen die Trittbrettfahrer und Unwilligen mitzufinanzieren. Wir bestrafen deinen Erfolg nicht mehr durch Steuerprogression, sondern die Früchte deiner Arbeit bleiben dir vorbehalten. Wir öffnen dir alle Freiräume, die du für deine Tätigkeit benötigst. Wir setzen dir keine verkrusteten Hierarchien vor die Nase, die dich gängeln und einschränken. Du allein entscheidest, allerdings: deine Leistung ist gefordert.“

Mit dem neoliberalen Angriff sei versucht worden, die traditionelle Arbeiterbewegung zu zerschlagen, was teilweise auch gelungen ist. Die Gewerkschaften wurden zurückgedrängt und die gesamte Arbeits-, Produktions- und Verwaltungswelt wurde verändert. Die Hierarchien wurden unten abgeflacht und bürokratische Direktiven wurden durch den Marktmechanismus ersetzt. Die Firmen wurden zerlegt und die einzelnen Teile legen einander jetzt Rechnung. Der Marktmechanismus wurde auch in die Betriebe und Universitäten geholt.

Heute nach 35 Jahren Postfordismus und finanzgetriebenen Kapitalismus ist die Bilanz für Karl Reitter jedoch eindeutig „ernüchternd und erschütternd“. Durch die neoliberalen Veränderungen sei der Druck auf die Menschen enorm gestiegen. Die Welt sei geprägt von Unsicherheit, Verlust und Selbstzwang. Deshalb sei die Frage zu stellen: Was kann heute das neue Versprechen sein? „Zurück zu Jobs, Jobs, Jobs?“

Ulrich Beck: Vollbeschäftigung – eine nicht einmal wünschenswerte Illusion

„lllusionär ist die Vollbeschäftigung, von der unsere Gesellschaft immer noch träumt. Wir denken, es komme nur darauf an, die Konjunktur wieder anzukurbeln, damit jeder wieder Arbeit hat,“ sagte der am Neujahrstag 2015 verstorbene bekannte deutsche Soziologe Ulrich Beck in einem Interview mit dem Tagesspiegel im Jahr 2006. „Nach 20 Jahren ziemlich erfolglosen Kampfes gegen hohe Arbeitslosigkeit müssen wir uns die Frage stellen: Wie kann man ohne Arbeitsplatz ein sinnvolles Leben führen? Genau betrachtet ist Arbeitslosigkeit ja keine Niederlage, sondern ein Sieg. Die Produktivitätssteigerung erlaubt es, mit einem Minimum an menschlicher Arbeit ein Maximum an Wohlstand zu erzielen.“

Zeit für ein neues sozialdemokratisches Versprechen

„Dem Zynismus, dem Verlust der Lebensperspektive und der Unsicherheit stellt das Bedingungslose Grundeinkommen ein neues Versprechen gegenüber,“ erklärt Klaus Sambor von der Attac Inhaltsgruppe Grundeinkommen: „Sowohl Sicherheit als auch Freiheit.“

„Jetzt warten wir gespannt, wie von Seiten der SPÖ auf unser Angebot reagiert wird.“ Zuversichtlich ergänzt Sambor angesichts erster positiver Rückmeldungen von der Basis: „Es ist nur eine Frage der Zeit, bis das Bedingungslose Grundeinkommen eingeführt wird. Aber angesichts der zunehmenden Spaltung der Gesellschaft sollte das Grundeinkommen so schnell wie möglich gesellschaftlich breit diskutiert werden, nicht nur innerhalb der SPÖ.“

Der „Runde Tisch – Grundeinkommen“ (RTG) dient der Vernetzung unterschiedlicher Vereine, Initiativen und Personen, die sich für ein „Bedingungsloses Grundeinkommen“ (BGE) einsetzen.

Der Zusammenschluss RTG setzt sich für die Einführung des BGE in Österreich, in der EU und grundsätzlich auch weltweit ein.

Die Grundvoraussetzung, auf der dieser Zusammenschluss beruht, ist die Anerkennung von vier Kriterien für ein Bedingungsloses Grundeinkommen:

bedingungslos
allgemein
personenbezogen
existenz- und teilhabesichernd

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Karl Reitter am BIEN-Kongress 2012 in München:
https://www.youtube.com/watch?v=lZuijtY7T9k (ab 54:50)

Karl Reitter, Bedingungsloses Grundeinkommen, 2012:
http://www.mandelbaum.at/books/806/7417

Ulrich Beck 2006 im Tagesspiegel „Arbeitslosigkeit ist ein Sieg“:
http://www.tagesspiegel.de/weltspiegel/gesundheit/arbeitslosigkeit-ist-ein-sieg/780852.html